Inklusion ja und ohne „Aber“

Inklusion beschäftigt mich schon seit einigen Jahren. Besonders nach dem ich vor einigen Jahren in den USA bei der American Canoe Association während eines Workshops für adaptives Paddling erfahren konnte, was im Paddelsport mit Menschen mit Behinderungen möglich ist. Dieses auch hier in Wilhelmshaven umzusetzen hat mich gereizt. Ich hatte nicht bedacht, dass ich auf dem Wege dahin derart viele Barrieren in den Köpfen der Menschen überwinden muss.

Wofür steht Inklusion eigentlich oder ist sie in Wahrheit nur eine Illusion?!

Viele Menschen mit Behinderung haben Jahrzehnte mit einer Behinderung gut gelebt, und auf einmal brauchen sie von oben verordnet Inklusion? Aber wofür brauchen wir Inklusion? Um Aufmerksamkeit zu erzeugen? Bewusstsein zu schärfen? Besser miteinander leben zu können? Ein Miteinander zu erreichen? Achtsam mit jedermann umzugehen? Oder?

In unser aller Leben spielen Kontakte und Beziehungen eine wichtige Rolle. Wir sind nicht allein - wir stehen alle miteinander in Beziehung, sitzen alle in einem Boot! Ein respektvoller Umgang miteinander kann nur geschehen, wenn man sich selbst respektiert, auf sich achtet und sich selbst gut behandelt. Dann kann man es auch bei seinen Mitmenschen anwenden. Das ist so klar und einleuchtend. Leider vergessen wir dies häufig! Aber… wenn wir alle miteinander verbunden sind, warum brauchen wir dann Inklusion – ein von oben verordnetes Verbessern von Beziehungen zwischen „normalen“ und Menschen mit Behinderungen?! Ist es denn so, dass beiden Gruppen getrennte Wege gehen oder sich aus dem Wege gehen? Oder haben wir es nicht gelernt, miteinander umzugehen?

Sicherlich werden auf beiden Seiten Fehler im Umgang miteinander gemacht, aber das geschieht doch auch im Dialog unter Nicht-Behinderten.

Bis vor einigen Jahren ging ich davon aus, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft einigermaßen gut gelingt. Doch im Sport, zum Beispiel im Wassersport und hier als erlebtes Beispiel im Paddelsport, werden viele Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt und ausgeschlossen. So musste ich hören: „Du bist doch behindert, du kannst nicht paddeln, du gehörst nicht in ein Kajak aufs Wasser; ich übernehme für dich keine Verantwortung; hier im Sportverein haben behinderte Menschen nichts zu suchen“. Wer so etwas sagt, der hat sich noch nie in einen Sportler mit Behinderungen hineinversetzt. Er muss weitaus mehr Energie aufwenden, um am Sport teilzunehmen, wie andere Menschen.

Inklusion und Leistung schließen sich nicht aus – im Gegenteil! Das ist besonders im Para-Sport sowie bei Special Olympics bei Menschen mit einer mentalen Einschränkung zu sehen.

Viele von uns vergessen oder schieben es beiseite, dass Behinderungen oder chronische Erkrankungen zum Menschsein dazu gehören – sie können uns im Laufe unseres Lebens selbst treffen.

Doch woher kommen die unterschwelligen Vorbehalte gegenüber dem Behindertsein in unserer Gesellschaft? Vor dem Anderssein? Hat es mit unserer individuellen Komfortzone zu tun?

Eine Komfortzone ist bequem, vertraut. Man fühlt sich in ihr sicher und geborgen. Alles, was außerhalb der eigenen Komfortzone liegt, erzeugt Angst. Ein Unfall oder eine chronische Erkrankung, und plötzlich ist die eigene vertraute Komfortzone Vergangenheit. Man gehört auf einmal nicht mehr zur Norm und muss plötzlich akzeptieren, dass man nie wieder zur Norm dazu gehören wird. Es bedarf viel Zuversicht und Mut, das zu kompensieren. Neue Werte, neue Ziele, Schritt für Schritt ein neues Bewusstsein aufbauen. Wer das schafft, gewinnt. Wer nicht, zerbricht. Das Ablehnen von Sportlern mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen im Regelsport bzw. in einem Sportverein ist letztendlich der Offenbarungseid für ein System, das wahre menschliche Leistung nicht erkennt und wertschätzt. Gerade in der heutigen Zeit wäre es ein wichtiges Zeichen, zu zeigen, dass wir alle in einem Boot sitzen, und dass wir alle mitnehmen.

Seien wir mal ehrlich. Die Fortschritte bei der Schaffung einer Kultur der Inklusion für Menschen mit Behinderungen hinken hinter immer noch den meisten anderen sozialen Veränderungen unserer Zeit wie Gleichstellung, Gleichbehandlung u. a. hinterher. Leider.

Das Erkennen der Notwendigkeit und das Verstehen, eine Kultur der Inklusion in Deutschland zu schaffen, stellt eine der größten Herausforderungen auch in der Ära des adaptiven Paddelsports dar. Man mag es kaum glauben.

Eine nicht-integrative Kultur in Wassersportvereinen ist ein großes Hindernis für die Integration von Paddelsportprogrammen und ist entmutigender als alle anderen Barrieren.

Keine moderne Technologie vermag diese Barriere zu überwinden, und entsprechende Rezepte scheint es hierfür nicht zu geben. Barrieren sind oft das Ergebnis von Unwissenheit und mangelndem Interesse vieler Menschen in unseren Paddelvereinen, Menschen mit Behinderungen oder (sichtbaren) chronischen Erkrankungen aufzunehmen.

Einfach umzusetzende Maßnahmen, wie der Einsatz unterstützende Adaptionen, die Verwendung einer auf die Person ausgerichteten Terminologie, die Betonung der Fähigkeiten, die Vermeidung des Wortes "behindert" und andere leicht anwendbare Regeln, können einen großen Beitrag zum Aufbau einer integrativen und inklusiven Vereinskultur auch bei uns im Paddelsport geben.

Diese einfachen Regeln sind jedoch nur ein Teil einer Gleichung für Inklusion.

Wenn es sich vermeintlich nicht lohnt, sich vor Beginn eines Kajaktrainings Zeit für Adaptionen zu nehmen und die zusätzliche Stunde Zeit es nicht wert ist, umgesetzt zu werden, wird dieser Inklusionsgedanke aus den Poren des Vereins sickern. Wenn z. B. ein Trainer ernsthafte Zweifel daran hat, ob eine Person ihre Beinprothese ausziehen sollte, um Kanu zu fahren, wird der Mangel an Ausbildung unweigerlich offensichtlich sein. Eine Vereinskultur, die ein einladendes, integratives Gefühl schafft, geht von den Herzen und Köpfen der Menschen aus. Ein Lächeln, Aufregung und positive Energie scheinen immer durch. Wenn jemand wirklich integrativ sein möchte, aber gelähmt ist durch die Angst, das „Falsche“ zu sagen oder zu tun, wird der Mangel an Erfahrung offensichtlich sein, aber, was noch wichtiger ist, auch der zugrundeliegende Drang zur Selbstverbesserung. Dieser, gepaart mit einem Lächeln, Begeisterung und positiver Energie, macht „etwas Falsches zu sagen“ oder „das Falsche zu tun“ leicht verzeihlich.

Vereinsvorstände und ihre Trainer müssen nicht nur bereit sein, sondern auch wirklich wollen, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um Barrieren abzubauen. Sie müssen es stark genug wollen, um kleine Zeit zu opfern. Sie müssen bereit sein, die Peinlichkeit zu riskieren, das „Falsche“ zu sagen oder zu tun, bereit sein, die Kosten für ein paar zusätzliche Personalstunden pro Jahr in Kauf zu nehmen. Und sie müssen ein gutes Gefühl dabei haben, wenn sie diese Entscheidungen treffen.

Wir wollen mit unserer zukünftigen Arbeit im Paddelsport ein Umdenken in den Köpfen einleiten, so dass die Menschlichkeit in den Sportvereinen in Deutschland nicht weiter erodiert und der Sportler mit Behinderung nicht nur in einer sportlichen Nische eine wirkliche Chance bekommt, sondern in allen Bereichen des Paddelsports. Wir wollen Inklusion mit Inhalten füllen, und im Sinne der UN-Charta umsetzen. Und das bedeutet Teilnahme und Teilhabe im Sport auf allen Ebenen.

Inklusion im Sport kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn wir alle begreifen, dass jeder mit jedem in Beziehung steht und wir die Vielfalt und das anders Sein zur Norm machen.

Heinz Ehlers (aus DKV-Newsletter vom 7.6.2024)

Heinz Ehlers ist DKV-Referent für Inklusion. Er hat für die Ausbildung im DKV eine „Inklusionsfibel Paddelsport“ erstellt. Infos dazu bei inklusion@freizeit-kanu.de

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